Erfahrungsaustausch Herzpatienten Herzklappe Herz und Psyche Selbsthilfe
Vom Schicksal bestraft und doch belohnt...
Judith Peter
WIE ALLES BEGANN
Die Wintersaison 2001/02 beginnt, das Hotel ist voll ausgebucht und ich arbeite schon tagelang trotz Fieber. Ich gehe nicht in den Krankenstand, da ich meine Kollegen gerade jetzt in der Hochsaison nicht hängen lassen kann und will. Unter dem Motto „nur die Harten kommen durch“ wird mein Einsatz von der Chefetage mit einem „Danke, dass du durchhältst“ gewürdigt.
Erst nachdem ich eines Nachts von sehr starken Fieberschüben heimgesucht werde entschließe ich mich zum Arzt zu gehen. Da man ja bei einem x-beliebigen Doktor leichter zu einer Krankmeldung kommen könnte, ist es für alle Mitarbeiter des Hotels Pflicht, im Krankheitsfall den Hotelarzt aufzusuchen. So gehe ich zu ihm und erzähle ihm von den Fieberschüben, ohne mich zu untersuchen verschreibt er mir Antibiotika und schreibt mich für drei Tage krank.
Doch es wird nicht besser, das Fieber steigt, ich bin kreideweiß im Gesicht. Meine Mutter ergreift die Initiative und bringt mich zu einem anderen Arzt, dem Hausarzt ihres Vertrauens. Nachdem dieser mich abgehorcht hatte überweist er mich sofort ins nächstgelegene Krankenhaus. So folgt das Eine dem Anderen:
Herz-Echo, strengste Bettruhe, ein Krankenwagen, der mich von dem kleinen Krankenhaus in die über 100 km entfernte Landesklinik bringt, einige weitere, sehr unangenehme Untersuchungen, Blutabnahme, viele Fragen, keine Antworten.
Als man mir ein Schlafmittel gibt, registriere ich noch gar nicht, dass ich auf der Intensivstation liege und an sämtlichen Infusionen hänge. Erst am nächsten Morgen bemerkte ich meine unglückliche Situation, als ich von einem penetranten Arzt geweckt werde. Er informiert mich auf sehr unsanfter Weise , dass man mich heute noch am Herzen operieren muss, ansonsten bestünde für mich die Gefahr durch einen Gehirnschlag, Herzinfarkt oder einer Embolie zu sterben. Ich weiß gar nicht was um mich geschieht. Ich habe große Angst, ist doch mein Vater an so einer Operation gestorben...
So verweigere ich und verlange nach meiner Mutter, die natürlich schon längst am Weg zu mir war. Für mich waren es gefühlte 100 Stunden voller Angst und Unsicherheit, als 30 Minuten später meine Mutter endlich bei mir ist.
Nachdem man sich für das Verhalten dieses Arztes entschuldigt hat – er hätte dieses Gespräch mit mir gar nicht im Alleingang führen dürfen – und einen kompetenten, sehr sympathischen Herzchirurgen beigezogen hat, klären uns drei Ärzte auf:
Meine Herzklappe sei so stark von Bakterien befallen, dass sie nicht mehr richtig schließt, es sei zu viel Zeit vergangen um dies mit Antibiotika behandeln zu können und deshalb wäre eine Operation unumgänglich. Man müsse schnell handeln, denn es drohe ein Multiorganversagen.
Ich will das alles nicht hören, will es nicht wahr haben, dass man da über MEIN Befinden spricht!!
Vor einem Jahr noch musste ich mitansehen wie mein Vater an den folgen seiner Bypass-Operation starb. Ich kanns nicht fassen, dass es nun auch bei mir so weit ist. Ich will diese Welt noch nicht verlassen müssen.
Über mich kommt eine unbeschreiblich große Angst. Eine für mich unbekannte Kälte steigt in mir hoch, am liebsten würde ich weglaufen. Alles gäbe ich dafür um nicht sterben zu müssen, - hatte man meinem Vater nicht auch gesagt, er bräuchte dringend diese Bypässe um zu überleben? Ich will diese Operation nicht! Ich bin verzweifelt, fühle mich von jeglichem Glück verlassen, es erscheint mir alles trostlos und schwer. Doch meine Mutter ist da, sie redet mit den Ärzten und es wird beschlossen eine zweite Meinung einzuholen, so halte ich mich an diesem kleinen Funken Hoffnung fest, dass man doch noch eine Alternative finden könnte.
Doch mein Zustand verschlechtert sich täglich. Und eines Tages drohen die Nieren und die Leber zu versagen. Ich habe der Operation noch immer nicht zugestimmt und werde in einen anderen Überwachungsraum verlegt, bekomme Platzangst, habe Todesängste. Ich bekomme nur noch sitzend Luft, die Lungen sind voller Wasser. „So musste sich Papa gefühlt haben bevor er starb...Ich war dabei und konnte nichts machen. Nichts. Papa, holst du mich jetzt? Nein!! ich will nicht daran denken!“
Am frühen Morgen stehen einige Ärzte an meinem Bett. Allen voran der überaus menschliche Chirurg. Er hat keinen weißen Mantel an, denn er weiß, ich kann diese Ärztekluft nicht mehr sehen. Er setzt sich mit Jeans und Poloshirt an mein Bett, nimmt meine Hand und erklärt mir sehr einfühlsam, dass nun der Zeitpunkt da sei, mich operieren zu müssen. Er könne die Verantwortung, noch weiter zu warten, nicht mehr übernehmen, denn mein Zustand hätte sich enorm verschlechtert. Mit einer Handbewegung, die das Öffnen des Brustkorbes demonstrieren soll, versichert er mir, ich soll keine Angst haben, er hat alles im Griff. Er will sich noch ein wenig ausruhen, während dessen bereitet man mich für die Operation vor.
Ich vertraue ihm, er hatte sich die letzten Tage auch sehr um mich gekümmert, sich richtig viel Zeit auch außerhalb seines Dienstes genommen um mich zu diesem Eingriff zu überreden, doch diese unbeschreibliche Angst war für eine Unterschrift von mir viel zu groß...
Nun ist kein Entkommen mehr, ich fühle mich so einsam, es wird mir bewusst wie alleine ich mit diesen unheimlichen Gefühlen bin. - Wie unbeschreiblich einsam man ist wenn man von dieser Welt in das Ungewisse geht. Ich will auch davor noch unbedingt meine Mutter sehen. Ich will ihr sagen, wie lieb ich sie habe und wie stolz und froh ich bin, ihre Tochter sein zu dürfen. Ich möchte noch so vieles sagen, ich will meinem Ex - Freund Anton sagen, wie sehr ich ihn noch liebe, ich nie aufgehört habe ihn zu lieben, meinen Freunden sagen, wie schön es ist, dass es sie gibt. Ich müsste mich auch noch für so vieles entschuldigen, habe ich auch einige Fehler gemacht. Es ist KEINE ZEIT dafür. Die Gedanken kreisen sich.
...Georg Danzer weiß wovon er da gesungen hat...:
Ich muss bitterlich weinen. Habe ich in diesem Leben noch die Chance meine Fehler wieder gut zu machen? Ich kann keinen klaren Gedanken fassen, bin verwirrt. - Was ist wenn es heute für mich zu Ende geht?? Ich habe doch noch so vieles vor, hatte eben gewisse Fehler in meinem bisherigen Leben gemacht und nicht mehr die Möglichkeit diese wieder gut zu machen... - Nun bin ich diesen Ärzten ausgeliefert, mein Leben liegt in deren Händen.
Wie bitter sich diese Todesangst anfühlt, vermag ich nicht in Worte fassen, das kann nur jemand begreifen, der das selbst schon durchmachen musste. Ich bete, flehe den lieben Gott an mich noch nicht sterben zu lassen. Verzweifelt verhandle ich mit ihm, gebe Versprechungen ab, wenn er mich nur am Leben lässt! „Gibt es ein Leben nach dem Tod? WARUM ich, was habe ich nur getan, dass ich sowas verdiene?? Ich bin doch erst 24! Werde ich nun einfach ausgelöscht? Wars das jetzt mit mir??? WAS passiert mit mir, WAS???“ Ich werde von den dunkelsten Gedanken geplagt.
Auf einmal wird es mir ganz leicht ums Herz, ich beginne sogar zu scherzen, freue mich auf die Operation, und hole mir noch das Versprechen des Chirurgen, wenn das alles vorbei ist mit mir auf ein Bier zu gehen. Die berühmte „Wurschtigkeitstablette“ scheint zu wirken...
So werde ich operiert, man tauscht die von Bakterien befallene Aortenklappe gegen eine mechanische Klappe ein. Unfassbares Glück für mich ist, dass man noch einen daumendick-großen Tumor in der Herzinnenwand bemerkt und ihn auch gleich entfernt.
Die Operation habe ich relativ gut überstanden, aber ich hänge an einer Dauerdialyse, weil die Nieren versagten, ich wache auf, bin intubiert, erkenne und beobachte wie sich mein Brustkorb von selbst bewegt und eine Maschine für mich ein und ausatmet. Das macht mich nervös. Ich kann nicht sprechen und hätte so viele Fragen. Und dieser Durst! Doch es ist ein wenig beruhigend den netten Psychiater zu sehen. Er hat sein Versprechen, wenn ich aufwache da zu sein, gehalten...
Dann endlich die Erlösung. Sie ziehen mir den Schlauch aus dem Mund. Kurze Angst, dass ich nicht von selbst atmen kann und dann eine große Erleichterung. Doch dieser enorme Durst ist nicht auszuhalten, ich bettle die Pfleger an, mir wenigstens mit einem Wasser meinen Mund spülen zu dürfen, doch ich bekomme über Tage hinweg nur diese Zitronenstäbchen. Nach etlichen Wochen Intensivstation werde ich auf die „Normalstation“ verlegt.
Derart unbeschreiblich wertvoll und ermutigend für mich ist, dass mich meine wahren Freunde nicht vergessen haben. Seit sie gehört haben, wie krank ich bin, kommen sie, stehen mir bei, fühlen mit mir und versuchen mich aufzubauen. Diesen Freunden werde ich mein Leben lang dankbar sein, denn sie haben mich durch ihr einfühlsames und herzliches Verhalten enorm aufgebaut und mir Mut gemacht nicht aufzugeben.
Es wird mir immer wieder aufs Neue bewusst, dass mir das Leben eine zweite Chance gegeben hat. Erst, als man mir mitteilt, dass der Tumor gutartig ist, dann als ich nach Monaten wie durch ein Wunder keine Dialyse mehr brauche. Diese unglaublich freudige Nachricht wird mir von den Ärzten, die sich im Spalier vor mein Bett aufstellen, bei der Visite feierlich verkündet. Sie zeigen mir wie sehr sie sich darüber freuen, weil sie daran schon selbst nicht mehr geglaubt haben.
Ich verspüre eine überaus große Freude am Leben. Die letzten Monate waren unbeschreiblich hart für mich. ...Ängste, Schmerzen, Verzweiflung und Trauer... aber ich bin auch dankbar dafür, denn diese Monate im Krankenhaus haben mich sehr geprägt, mich spüren lassen, was Menschlichkeit bedeutet, wie gut es tut Mitgefühl und Verständnis zu bekommen.
Mit großem Respekt werde ich mich mein Leben lang diesem geduldigen, einfühlsamen Krankenpflegepersonal verbunden fühlen, mit Hochachtung an dieses tolle, menschliche Ärzteteam denken und mit Dankbarkeit immer für meine Freunde, die so zu mir standen, da sein.
DIE REHA
Es ist Ende August 2002. In der Rehabilitationsklinik werde ich auf mein neues Leben mit der künstlichen Herzklappe vorbereitet. Hier kann ich in Ruhe das Erlebte verarbeiten und mein Leben neu ordnen, denn nichts wird mehr so sein wie vorher. Zum Tagesablauf in der Reha gehören Tätigkeiten wie Entspannungsgymnastik, Herzturnen, Spaziergänge, Standradfahren. Täglich muss man Blut- und Urinproben abgeben. Ich bin die Jüngste in der Klinik und bin ganz gerührt wie sehr sich die älteren Leidensgenossen sich um mich kümmern.
Dieses Ticken des Herzschlags, das eben die neue Klappe verursacht, ist gewöhnungsbedürftig, Anfangs macht es mich nervös, es hindert mich beim Einschlafen, aber ich habe gelernt damit umzugehen. Es stellt sich auch heraus, dass ich während der Operation mal mit zu wenig Sauerstoff versorgt wurde und deshalb diese Gleichgewichtsstörungen habe, auch die immer wieder auftretenden Sehstörungen werden mich mein Leben lang begleiten. Ich lerne damit umzugehen, dieses Glücksgefühl - leben zu dürfen - überwiegt. Dass ich keine Kinder mehr bekommen kann, macht mich unbeschreiblich traurig. Mein Leben wird wohl anders verlaufen als ich es geplant habe.
Trotzdem kann ich aufatmen. - Ich bin erlöst von den vielen Infusionen, Spritzen, täglich immer schmerzhafter werdenden Blutabnahmen. Ich brauche auch keinen Katheter-Wechsel mehr über mich ergehen lassen. Vor diesem Herz-Echo, das zwar nicht weh tut aber mir immer unheimlich war, weil ich mein Herz so überwältigend laut pochen und die Klappe dazu ticken hörte habe ich eine Zeit lang Ruhe. Diesen unguten Herzuntersuchungen, bei denen man mit einer Kamera in die Speiseröhre fährt, um so das Herz ganz genau unter die Lupe nehmen zu können gehören von nun an genauso der Vergangenheit an.
Vor allem muss ich mich dieser Dialyse nicht mehr unterziehen. Es war mir sehr unangenehm zu sehen, wie mein Blut aus dem Körper über einen langen durchsichtigen Schlauch in eine Maschine gepumpt wird, von dort aus wieder „gewaschen“ zurück in den Körper kommt. Hat man diese täglich stundenlang durchgeführte Prozedur hinter sich wird man müde. Dass ich dieses große Glück hatte, davon losgekommen zu sein, stellt vieles andere in den Hintergrund.
DER WEG ZURÜCK IN DEN ALLTAG
Ich schaffe es, innerhalb von einem Jahr die 37 Tabletten, die ich täglich schlucken musste auf 3 zu reduzieren. - Mit meinem mittlerweile erworbenen Übergewicht habe ich Frieden geschlossen :)
Ich mache das Beste aus meiner Situation und nehme das Positive mit in mein neu gewonnenes Leben. Diese wunderbaren Erfahrungen, die ich in dieser Zeit erleben und erfühlen durfte. Ich sehe es als ein kostbares Geschenk, an mir selbst erfahren zu haben, wie viel Herzlichkeit, Mitgefühl und Nächstenliebe in einem bewirkt.
Mitfühlende Worte haben mir geholfen den Lebenswillen nicht zu verlieren, mir immer wieder den Mut zum Weiterkämpfen gemacht, gestärkt und mich damit aus meiner tiefen Verzweiflung geholt.
Ich bin mir sicher, dass ich diese Erfahrung und diese schönen Gedanken darüber mit nehmen werde in mein neu gewonnenes Leben.
Doch die Zeit vergeht und es stellt sich heraus, es sind schwierige Zeiten für mich. Denn diese Herzgeschichte je aus dem Kopf zu bringen ist fast unmöglich, die alltäglichsten Dinge sind nicht mehr selbstverständlich.
Furchtbare Panikattacken bestimmen mein Leben, ich muss lernen meinen Puls zu ignorieren, mir nicht aus jeder Kleinigkeit das Schlimmste auszumalen. Diese Gleichgewichts- und Sehstörungen, der Schwindel und mein oft unregelmäßiger Herzschlag machen das Leben nicht leichter. Ich versuche damit besser umzugehen, indem ich diese Beschwerden als eine Art Nebenwirkung in mein Leben annehme. – Es gelingt mir nicht immer. Ich werde wütend, traurig, zornig. Ich hab das Gefühl das alles nicht mehr ertragen zu können. Da sind diese Ängste, die mein Leben bestimmen, die mein Tun so unsicher machen und meine Lebensfreude so enorm runter drücken.
Ich will doch nur ein normales Leben führen, will mich normal fühlen indem ich nicht immer auf meine Gesundheit achten muss. Ich fange wieder zu rauchen an und trotz Abraten der Ärzte arbeite ich auch wieder als Kellnerin.Tag für Tag ist es eine Herausforderung für mich mit diesen Gleichgewichtsstörungen klarzukommen. Der Gedanke, dass ich am Leben sein darf hilft mir jedoch sehr, diese Störungen dann doch wieder zu akzeptieren. Bei meiner Arbeit kann ich wenigstens für ein paar Stunden meine Sorgen vergessen, mich ablenken und vor allem darf ich mich nicht gehen lassen. Die Arbeit ist für mich eine Art Therapie.
Es braucht sehr viel Disziplin und auch Phantasie um mich nicht von diesen dunklen Gedanken einholen zu lassen. Es sind nun mal sehr schlimme Dinge mit mir passiert. Sie waren unfair, schmerzhaft und schrecklich. Die Ängste, die mir geblieben sind halte ich nicht mehr aus. Mittlerweile sind schon Jahre vergangen, ich trau mich immer noch nicht alleine in ein Einkaufszentrum zu gehen, alleine einen Spaziergang zu machen und noch so vieles mehr. Die Ängste bestimmen meinen Alltag und fast habe ich vergessen, wie schön es ist am Leben sein zu dürfen. Meine Vorsätze von damals sind noch in meinem Herzen, aber ich bin zu feige, zu träge, zu müde, zu ängstlich mein Leben danach zu leben. Manchmal versuche ich sogar diese Gefühle abzutöten indem ich sie mir wegtrinke. - es gelingt natürlich nicht. Ich werde immer trauriger, bin frustriert und versuche all das, was sich in mir aufgestaut hat zu verdrängen. Diese Panikattacken haben mich im Griff, ich lass mich immer mehr gehen... bin verzweifelt... unsicher....
An dieser Stelle ist es mir ein großes Bedürfnis meinem Mann danke zu sagen. „Danke Heinz, dass du auch in den schlechten Zeiten zu mir gestanden bist!! Ohne dich wäre ich jetzt nicht da wo ich bin!“
Meine Mutter stirbt und neben meiner tiefen Trauer fühle ich wieder dieses Gefühl von damals. Das unheimliche Gefühl der Endlichkeit. Ich begreife dieses Mal aufs Neue, wie endlich das Leben doch ist und ich will dieses eine Leben nicht mehr durch diese gemeinen, kraftraubenden, fesselnden Panikattacken bestimmen lassen. Aber wie komme ich davon nur los??
...LÄCHLE DEM SCHICKSAL INS GESICHT...
Ich entschließe mich zu einem meiner wichtigsten, für mich sehr wertvollem Schritt und beginne eine Gesprächstherapie.
Anfangs denke ich, mein Therapeut wird mich für verrückt erklären, weil das alles schon Jahre her ist und ich noch immer darunter leide, ich noch immer diese Ängste in mir habe. Vorsichtig und ganz langsam fange ich an ihm von meinem Leben zu erzählen. Er macht mir klar, dass die Seele keine Zeit kennt… Dank seines mich zutiefst berührenden Einfühlungsvermögens, seiner Ehrlichkeit und dieser daraus fruchtenden Gesprächstherapie lerne ich mich besser zu verstehen. Endlich kann ich dieses Warum begreifen, trau mich, mich meinen Ängsten zu stellen und biete ihnen meine Stirn.
Ich fange an meinem Schicksal genau ins Gesicht zu sehen und ordne mein Leben nochmals ganz neu. Das gibt mir diese wundervolle Möglichkeit mich aufs Neue von einer Seite kennenzulernen, die mir sehr gefällt. Die Panik und Ängste verschwinden zwar langsam, aber sicher. - und ich kann mein Schicksal mit so viel Positivem verbinden.
So hart ich Monate lang an mir arbeiten muss, so befreit fühle ich mich als ich das erste Mal ohne Hintergedanken und Angst alleine in ein Einkaufszentrum gehe oder mich dazu überwinde alleine im Wald spazieren zu gehen. Lange Zeit muss ich mir schwer erarbeiten was für andere normaler Alltag ist. Seine Ängste in den Griff zu bekommen geht nicht von heute auf morgen, es braucht extrem viel Geduld, Kraft und Ausdauer. Ich will es aus eigener Kraft schaffen und verzichte auf aufmunternde Medikamente. - Kann aber jeden mehr als verstehen, der solche Medikamente in Anspruch nimmt.
Nicht jeder versteht meinen Weg den nun ich einschlage...
Und nicht jeder versteht von was ich da erzähle… Denn nicht jeder kann wissen, was Panikattacken wirklich mit einen machen, nicht jeder kann glauben, wie sehr diese fürchterlichen Attacken ein Leben beeinflussen und einschränken können. Deshalb schämt man sich, man zieht sich zurück und wird immer trauriger, müder und lustloser. ... Aber ich bin mir sicher, dass jeder Mensch, der dem Tod bereits sehr nahe war, weiß von was ich da rede.
Eine Herzoperation - egal ob man dabei von einem großen oder kleinen Eingriff spricht - löst bei den meisten Menschen beträchtliche Unsicherheiten aus. Auch wenn die Ärzte einen keinen Grund zur Sorge mit nach hause geben haben sie unser Herz berührt.
So müssen wir lernen, die Freude wieder zuzulassen, probieren zu verstehen warum die Trauer und besonders diese Angst trotz geglückter Operation in uns sitzt. Es ist einfach so, dass wir immer wieder im Alltag daran erinnert werden, durch sämtliche Beschwerden, harmlose Zeichen des Körpers, die wir gleich als Warnung sehen. Uns hat man an einem Organ operiert, das unsere Gefühle repräsentiert. Es ist als ob man unsere Seele verletzt hätte. Das Herz, das lebenswichtigste Organ, dass nicht nur Blut pumpt sondern in dem wir all unsere Gefühle spüren´: Uns wird´s warm ums Herz, wir bekommen einen Stich ins Herz, das Herz rast vor Freude, vor Aufregung und wird müde vor Trauer. Und genau dieses Organ ist bei uns beschädigt. So hoffen wir einfach, dass es normal schlägt und uns keine Gefühle übermittelt, denn diese Gefühle machen uns Angst... Aber wir müssen es zulassen uns freuen zu dürfen, wieder im wahrsten Sinne des Wortes auf unser Herz zu hören und müssen lernen zu erkennen, was es uns wirklich sagen will. Wenn wir das zulassen, dann lernen wir uns selbst so gut kennen, von einer Seite, die den meisten gesunden Menschen für sich selbst verborgen bleibt. - Darauf können wir doch auch etwas stolz sein :)
Mittlerweile kann ich vorsichtig von mir behaupten, dass ich mein Leben nicht mehr durch unerträgliche Ängste bestimmen lasse sondern mit der Freude, dass ich noch da sein darf das mache, was für mich sinnvoll und wichtig ist. Sicher ist, dass ich ohne der Bewältigung dieser Hindernisse niemals diese Stärke, mein Potential und meine Liebe verwirklicht hätte.
Ich weiß, wie schnell das Leben vorbei sein kann, habe gelernt mein Leben auch etwas gelassener zu sehen, will meine Gefühle in vollen Zügen fühlen, nehme mein Leben bewusst wahr, bin experimentierfreudig, neugierig und lasse wieder zu, mein Herz sprechen zu lassen. Und meinem Schicksal, ja dem lächle ich nun frech ins Gesicht...
ICH BIN BEREIT FÜR DAS ABENTEUER LEBEN
Judith P. im März 2012
...Nachwort...
DAS ÄNDERN LEBEN
Seit ich hier meine Geschichte niedergeschrieben habe sind nun einige Jahre vergangen. Ich habe mir damals so vieles vorgenommen in meinem Leben zu ändern. Keine Panik-Attacken zu haben ist unbeschreiblich befreiend. Diese Tatsache hat mir die Lebensfreude zurück gebracht und meine Unternehmenslust geweckt. Es kam irgendwann der Zeitpunkt an dem ich mir gedacht habe, ich darf nicht nur darüber nachdenken und träumen, groß reden, sondern ich muss anfangen dieses Ändern auch wirklich zu leben.
Es ist noch lange nicht alles gut, mein Leben läuft noch lange nicht rund... Rückschläge gibt es immer mal, genauso wie Sorgen und Probleme.
Die Krankheit meines Mannes (COPD Stadium IV) ist da auch noch eine Draufgabe. Es ist alles andere als fair, dass es so gekommen ist. - diese Atemnot zu beobachten geht mir sehr nahe, ich weiß wie beängstigend es für mich war nur wenig Luft zu bekommen. Jedoch weiß ich nicht, wie es ihm dabei geht. Ich kann es nur erahnen wie tapfer er ist...
Äußerst schwer ist nichts für ihn tun zu können. Außer für ihn da zu sein.
Es muss unbeschreiblich nervenaufreibend und niederschmetternd für ihn sein so sehr um Luft ringen zu müssen und ich bewundere ihn, mit was für einen Humor er sein Leiden erträgt. Und es ist zutiefst berührend wie sehr er darauf bedacht ist, dass es mir gut geht und ich auf meinem Weg bleibe. Ich habe den besten Mann, den ich mir je für mich wünschen kann! Mein aller größter Herzenswunsch ist, dass uns noch ein paar Jahre miteinander gegönnt sind...
Mir ist klar geworden, dass Unglück nicht nur Unglück bedeutet. Sieht man genauer hin und wagt einen Blick auf das ganze Rundherum entdeckt man da ganz viel Glück im Unglück. Wie oft erfährt man erst im Unglück Herzlichkeit, Wärme und wunderbare Momente.
Diese Homepage war außerhalb der Gesprächstherapie einer meiner ersten Schritte, die ich gemacht habe, um mein Leben positiv zu verändern und sie bedeutet mir mittlerweile sehr viel. - denn dank ihr durfte und darf ich viele ganz besondere, wunderbare, tolle und liebenswerte Menschen kennenlernen. Es entstanden tiefe Freundschaften und bereichernde Bekanntschaften. DANKE Ihr habt mich dazu ermutigt weiter auf meinem Weg zu bleiben. Ein Weg, der spannend ist und ich unsagbar froh bin ihn eingeschlagen zu haben.
Das "Ändern leben" gestalte ich weiter, indem ich nach einem sehr lehrreichen, teilweise bewegenden Befähigungskurs bei der Caritas als ehrenamtliche Hospizbegleiterin wertvolle, tiefe, bereichernde, stärkende Erfahrungen machen darf. Jeder einzelne Einsatz ist unsagbar berührend, oft überwältigend und lässt mich eine ganz besondere, unerklärliche Art an Lebensfreude spüren.
Und ich habe noch was verändert, nämlich, dass ich dem Gastgewerbe endgültig den Rücken gekehrt habe. Die letzten Jahre gab es viele Versuche den Beruf zu wechseln. Man sagte mir ich würde wegen meiner Herzkrankheit Unterstützung vom Staat bekommen. Komplizierte Gesetze, unqualifizierte BetreuerInnen in der Arbeitsvermittlung, die mich gleich zweimal in den selben Kurs schicken, herabwürdigende Arbeitsangebote von sogenannten sozialen Einrichtungen, die unter dem Deckmantel "Arbeitsprojektentwicklung" für völlig unprofessionelles Begleiten eine Menge Geld vom Staat kassieren, waren der Grund wieso ich keine vom Staat unterstützte Arbeit mehr annehmen möchte. Ja, ich bin gesundheitlich angeschlagen, aber ich bin auch Mensch. So entschloss ich mich, mich doch lieber wieder als "Gesunde" zu bewerben und hatte riesen Glück, dass gerade eine neue Berufssparte im Kommen ist, die bevorzugt Leute aus dem Gastgewerbe suchen:
Ich arbeite nun in einem Krankenhaus im Stationsservice. Die Arbeit ist zwar streng aber sehr erfüllend. Hier habe ich die beste Möglichkeit, das Gute, das ich während meines eigenen doch sehr langem Krankenhausaufenthaltes erfahren durfte, wenigstens ein bisschen weiterzugeben. Für mich ist diese Arbeit ein wundervolles Abenteuer und ich empfinde es als ein großes Geschenk genau auf dieser Station gelandet zu sein.
Noch ein großer Schritt zur dieses Mal gesunden Veränderung: Ich rauche bereits zwei Jahre nicht mehr, habe in dieser Zeit 30 Kilo abgenommen. Waldspaziergänge gehören mittlerweile genauso zu meinem ganz normalen Alltag wie bedenkenlos in großen Einkaufszentren zu bummeln.
Das Herzstolpern, die Gleichgewichts- und Sehstörungen habe ich in meinem Leben voll angenommen, auch wenn mich diese Zustände nach wie vor oft genug nerven, und auch wütend machen, weil sie den Alltag erschweren... - Aber sie bringen mich nicht mehr dazu in Panik zu fallen. Und das ist ein riesen großer Erfolg!! An mir selbst zu spüren, dass nichts selbstverständlich ist macht mich jedoch jeden Tag aufs Neue um vieles dankbarer und zufriedener.
Vor ein paar Jahren war das alles unvorstellbar und ich kann es kaum fassen wie weit mich der eine Sprung über meinen eigenen Schatten gebracht hat. Danke an meinem Mann Heinz, der mich so geduldig und lieb unterstützt hat, Danke an Herrn Mag. Brüstle für die Geduld und unglaublich fruchtende Gesprächstherapie, ohne der ich jetzt ganz bestimmt niemals da wäre wo ich nun sein darf!! Danke an alle, die an mich geglaubt haben und auch Danke an die, die das nicht getan haben. Denn ihr habt meinen Kampfgeist erst recht geweckt. ;)
All das ist nicht von gleich auf jetzt entstanden. Es war ein langer, anfangs kraftraubender Weg, den zu gehen mich jedoch gestärkt, aufgebaut, gefestigt und geerdet hat.
Ich will mich mit diesen Zeilen nicht selbst loben (oder vielleicht doch ein kleeeeines bisschen ) Ich möchte mit diesen Zeilen viel mehr jeden Einzelnen, der das liest dazu ermutigen SEINEN Weg zu gehen. Von selbst ändert sich nichts, fängt man jedoch an selbst an sich oder an seinem Umfeld etwas zu ändern passieren die tollsten Erlebnisse, erlebt man die wundervollsten Momente und erfährt unglaubliche Überraschungen. Hält man sich dabei auch noch bewusst vor Augen, dass nichts selbstverständlich ist, bleibt diese besondere Dankbarkeit ans Leben im Herzen und macht den Alltag zu etwas Besonderem.
Man darf nicht zu stolz sein Hilfe zu suchen oder anzunehmen und man sollte vor allem auch bereit sein sich von dem Leben zu lösen, das man geplant hat. Denn nur so findet man das Leben, das nun wirklich auf einen wartet. Und das kann sehr schön sein, genial und enorm freudebringend! - wenn man es sich nicht von vornherein schlecht denkt und den Mut hat es durch Veränderungen etwas bunter zu gestalten. Gebt dem Leben, das auf euch wartet eine Chance zu zeigen, was es wirklich zu bieten hat! Und gebt nicht auf, wenns trotzdem mal wieder schwierig wird.
Macht die Augen auf, seid neugierig, überlegt was ihr WIRKLICH wollt und lebt euer Ändern in vollen Zügen aus, nehmt Humor mit in den Tag, lacht und schämt euch nicht eurer Schwächen, macht Fehler, lernt daraus, seid füreinander da und traut euch auch mal was richtig Verrücktes zu tun!! Sagt was ihr zu sagen habt.
...wer weiß ob wir morgen die Chance dazu bekommen...
Judith P. im August 2015
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